Es war „die besondere Art, das Fernöstliche mit der Leidenschaft zum Bogenschießen zu verbinden“, die Gerald Kempf zum Kyudo brachte. Kyudo? Eine Sportart oder eher Meditation mit einem Sportgerät? Für einen des Kyūdō Unkundigen – so heißt diese sehr exotische Kampfsportart mit dem japanischen Langbogen – eine nur schwer zu beantwortende Frage. Für Kempf und die Kyudoka vom Budo-Club Karlsruhe (BCK), wo diese Kampfkunst ausgeübt oder besser: zelebriert wird, ist die Anwort dagegen einfach „Jeder Schuss ist ein Spiegelbild des eigenen Könnens. Durch unmittelbare Rückmeldung über seine körperliche und geistige Verfassung erhält der Schütze die Chance zur Selbstreflektion. Sich selbst immer wieder zu betrachten und zu erfahren, immer wieder das Gefühl zu haben, gerade erst mit Kyūdō begonnen zu haben, sind für mich die Meilensteine des Übens“, sagte einmal Michael Brettschneider, einer der erfolgreichsten Bogenschützen des Budo-Clubs, der als Mitglied der deutschen Nationalmannschaft sogar WM-Medaillen gewonnen hat. Für Gerald Kempf kommt noch hinzu, dass er ein Faible „für die japanische Kultur“ hat, die sich für den 69-Jährigen, der beruflich in Sachen Coaching und Beratung tätig ist, im Kyudo zeigt, wie er sagt.
Kyūdō (Kyū = der Bogen, dō = der Weg) ist eine der alten klassischen japanischen Kampfkünste, die sich aus den Waffentechniken der Samurai entwickelt hat, wobei der ca. 2,20 m lange japanische Bogen zum Einsatz kommt, der traditionell aus Holz und Bambus gefertigt ist und eine besondere Schießtechnik erfordert, die nur durch langes und intensives Üben zu erlernen ist. Dazu braucht es ein hohes Maß an Disziplin, Aufmerksamkeit, Konzentration und innere Ruhe, ohne die Kyūdō auf Dauer nicht machbar ist. Über acht genau festgelegte Bewegungsphasen müssen Körperhaltung und -spannung präzise koordiniert werden. Diese Abläufe zu beherrschen und zu verfeinern, ist ein wesentliches Ziel des Übens. Mit den eigenen Fortschritten und mit dem permanenten Verfeinern der Schießtechnik wächst die Freude an der Kunst des Bogenschießens, die dann auch für den außenstehenden Betrachter in der ästhetischen Darstellung, der Ausstrahlung und dem Trefferergebnis sichtbar wird. Der Bogen hat weder eine Zieleinrichtung noch eine Pfeilauflage. Der Pfeil wird an der Zughand-Seite außen auf dem Daumen der Haltehand aufgelegt. Die Sehne wird mit Hilfe eines Schießhandschuhs mit einer Grube am Daumen gezogen. Neben dem eigentlichen Schießen wird eine Reihe zeremonieller Bewegungsformen in traditioneller Kleidung Hakama und Keiko-Gi, bei fortgeschrittenen Schützen auch im Kimono geübt. Einen wichtigen Teil des Trainings nimmt das Üben der Technik und der Bewegungsabläufe vor dem Makiwara ein. Dabei wird aus nur zwei bis drei Meter Entfernung auf ein Reisstrohbündel geschossen. Da es beim Kyūdō nicht vorrangig nur auf Muskelkraft ankommt, sondern auch auf sensible Bewegungskoordination, ist der Umgang mit dem japanischen Langbogen für Frauen und Männer jeden Alters geeignet. Zu Beginn sind weder Vorkenntnisse noch Ausrüstung erforderlich. Äußerliche Besonderheiten sind die traditionelle Kleidung und die zeremoniellen Bewegungsformen für Demonstrationen, Prüfungen und Meisterschaften, wie demnächst wieder bei den baden-württembergischen Titelkämpfen, die von der Kyūdō -Abteilung im BCK am 30. April 2023 in der „Alten Reithalle“ in der Blücherstraße organisiert werden, wie Kempf mitteilt. Dort wird auch BCK-Kyudoka Erik Hamann mit dabei sein, der Bei den Deutschen Kyu-Meisterschaften, die Mitte Oktober in Hamburg stattfanden, sowohl beim Stilpreis, als auch in der Trefferwertung einen starken zweiten Platz belegte und damit einmal mehr die Wettbewerbsfähigkeit der Karlsruher Bogenschützen unterstrich.
Text: Harald Linder / Badische Woche